Tyler Moreno
Das Leben durch die Linse ihrer Kamera zu sehen, war für Nina nie ein Problem gewesen. Sie hatte nie erwartet, einem echten Leben jemals näher zu kommen. Das Ty sich wider aller Erwartungen zu ihr hingezogen fühlt, kann sie zunächst kaum glauben. Da ihr aber sowie nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, ist Nina bereit, alles anzunehmen, was er ihr bietet und vor allem solange es ihr gegönnt ist.
Allein ihre Gegenwart, schenkt ihm den lang ersehnten Frieden und Ty entschließt, sie auch gegen alle Widrigkeiten zu behalten.
Können Nina und Ty all die unausgesprochenen Probleme klären und dem Druck ihrer Freunde standhalten?
Eine Geschichte die von Liebe, Verlust, Angst, Druck, Lust und den kleinen Verwirrungen des Alltags erzählt.
Leseprobe:
1 Wer bist du?
TY
"Wer ist das?", fragte Shane und deutete auf eine zierliche Frau, die abseits der Gruppe stand und Fotos schoss.
"Schau sie nicht mal an, du Wichser!", schnauzte Gregor ihn sofort an.
Das war für diesen Tag schon zu viel für Ty. Er war impulsiv und leicht auf die Palme zu bringen, aber heute lief von vornherein alles schief. Da kam es ihm gerade gelegen, seinem Freund Shane beizustehen und Gregors großes Maul zu stopfen.
Er stieß Gregor mit beiden Händen vor die Brust.
"Lass ihn in Ruhe oder du bekommst es mit mir zu tun!", zischte er ihm entgegen.
Ihm war entgangen, wie sich der Streit zwischen den beiden entwickelt hatte. Es war ihm egal. Er freute sich einfach darauf, die angestaute Energie loszuwerden.
Gregor war bereits so in seiner Wut gefangen, dass er sich von seinen 1,95 Metern und den gestählten Muskeln nicht einschüchtern ließ.
Ty hatte keine Angst vor der Auseinandersetzung. Er war Sicherheitschef in der Firma seines Freundes Ryan und hatte in seiner Jugend mehr als einen Kampf in Fight Clubs bestritten.
Gregor baute sich vor ihm auf und hob gerade die Arme, um Ty ebenfalls von sich zu stoßen, als sich eine winzige Hand auf seine Armbeuge legte. Gregor erstarrte mitten in der Bewegung.
Ty folgte mit seinem Blick, der Hand entlang, den Arm hinauf, um zu sehen, welches kleine Mädchen sich in ihren Streit einmischte.
Kein Mädchen, einfach nur eine winzige Frau. Maximal 1,55 Meter groß. Ihre dünnen Beine steckten in schwarzen Leggins und darüber trug sie einen riesigen, unförmigen schwarzen Strickpullover, der ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte.
Sie sieht aus wie ein Fass auf Stelzen, dachte er.
Aus dem Ungetüm an Pullover ragte ein schmaler Hals. Ihr Gesicht war blass und ungeschminkt.
Schön, ja, aber nicht herausgeputzt wie bei den meisten Frauen in ihrem Alter. Er schätzte sie auf 23 Jahre. Sie hatte unscheinbare dunkelbraune Augen mit extrem langen Wimpern. Eine kleine Stupsnase und schöne, volle Lippen in einem dunklen Rot-Ton.
Ihre dunkelbraunen Haare waren zu einem nachlässigen Knoten hochgesteckt und einige Strähnen hatten sich gelöst.
Ihre Hand ruhte immer noch auf Gregors Arm und ihr Blick war fest mit seinem verhakt.
Sie schienen mit ihren Blicken zu kommunizieren und verstanden sich anscheinend wortlos.
Gregor stöhnte gequält auf, wandte sich ab und ging. Ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, hatte diese kleine Frau Gregor von einem tollwütigen Hund in einen getretenen Welpen verwandelt. Und auch ohne ein Wort an den Rest zu wenden, wandte sie sich ab und ging wieder auf ihren Sitzplatz am Rand der Gruppe.
Ty, dessen Wut in Verblüffung umgeschlagen war, schüttelte fassungslos den Kopf.
"Was bitte war das?", wandte er sich an Alexa.
Diese schüttelte traurig lächelnd den Kopf.
"Lass es lieber, Ty. Wenn es um Nina geht, sieht Gregor immer rot. Tu am besten so, als wäre sie gar nicht da."
Sie sah ihn eindringlich an.
Er blickte zurück zu Nina, die wieder ihren Beobachtungsposten eingenommen hatte. Sie saß einfach nur da und fotografierte die Menge.
So zu tun, als wäre sie nicht da, fand er gar nicht so einfach. Bisher war sie ihm nie aufgefallen. Er war sich gar nicht so sicher, ob sie bei den bisherigen Zusammentreffen der beiden Gruppen jemals anwesend gewesen war. Gregor ging zu ihr, ließ sich vor ihr auf die Knie fallen und sprach mit ihr.
Nein, dachte er, nicht mit ihr, eher auf sie ein.
Sie legte den Kopf schief und schien ihm aufmerksam zuzuhören. Mitten in seinem Redefluss legte Nina ihm eine Hand auf die Wange und lächelte zaghaft. Gregor legte daraufhin seinen Kopf in ihren Schoß und Nina streichelte ihm über die Haare. Ty sah noch einige Minuten zu, ehe er sich wieder an Alexa wandte.
"Was wird das?", fragte er verwirrt.
"Lass sie einfach in Ruhe, Ty. Wirklich, es ist besser für alle, wenn du dieses Thema einfach auf sich beruhen lässt", antwortete Alexa.
"Warum die Geheimniskrämerei?"
"Gott Ty, wenn du keine Ruhe geben willst, dann geh wenigstens zu Sky. Gregor ist eh noch sauer auf mich."
Er wandte sich ab und holte sich erst mal ein Bier. Seine Gedanken kreisten um den seltsamen Vorfall. Er setzte sich zurück an das Lagerfeuer, wählte seinen Platz aber so, dass er Nina im Blick behielt.
Gregor saß mittlerweile neben ihr und sprach wieder auf sie ein, während Nina sich eine Zigarette drehte.
"Ty, komm, wir gehen vor, wir haben gleich einen Auftritt", rief Chris ihm zu. Er hatte Recht, sie waren nicht nur zum Vergnügen hier.
Die Mittelaltergruppe Fire&Ice war für ein Musikfestival in einem Vorort von Boston gebucht worden. Sie würden dort für fünf Tage zelten und täglich einmal ihre Feuershow aufführen.
Ryan hatte die Setarips, eine befreundete Gruppe von den Mittelalterspielen in Talin, eingeladen, ebenfalls bei diesem Musikfestival teilzunehmen. Anschließend würde die Gruppe noch für zehn Tage in Boston in einem von Ryans Hotels unterkommen.
Sie alle waren gestern Nachmittag angereist und hatten zusammen ihr Lager aufgebaut.
Es war ein komisches Gefühl. Da Fire&Ice eigentlich nur aus Männern bestand und die Anwesenheit von Frauen in ihrer Gruppe Ty irritierte.
Sonst waren immer nur seine Freunde und er da gewesen. Sie feierten viel und hatten das Lager immer voller Mädchen für eine Nacht.
Er war unsicher, wie er sich den Setarips gegenüber verhalten sollte. Und Unsicherheit schlug bei ihm oft in Aggression um.
Auch an das veränderte Aussehen ihrer Gastgruppe musste er sich erst gewöhnen. Er kannte alle nur in ihrer Mittelalterkleidung und er musste wieder einmal feststellen, dass ein Kleidungsstil das Aussehen eines Menschen komplett verändern konnte.
Er war froh darüber, dass Chris ihn rief. Er musste sich dringend ein bisschen körperlich auspowern, was bei den akrobatischen Teilen ihrer Show stets möglich war.
Sie gingen zu ihren Zelten, um sich die vereinbarte Kleidung anzuziehen. Da sie dieses Mal nicht wie auf den Mittelalterfestivals in ihren Gauklerhosen auftreten konnten, hatten sie sich für etwas weitere, schwarze, knielange Jeans entschieden.
Wie üblich trugen sie keine Schuhe, auch der Oberkörper blieb nackt. Für die Kombination aus Feuer und Akrobatik hatte sich das als optimal erwiesen.
Er mochte das Outfit. Schwarz stand ihm gut und passte zu seiner hellbraunen Haut und den Tribal Tattoos, die seinen Oberkörper zierten.
Er cremte sich noch ein, um seine Haut vor Verbrennungen zu schützen, und machte sich dann mit den anderen auf den Weg zur Bühne.
Da ihm die Geschichte mit Nina keine Ruhe ließ, wandte er sich während des Aufwärmens an Ryan.
"Ryan, ich hab eine Frage an dich."
"Schieß los, mein Freund!"
"Was ist das für eine seltsame Geschichte mit Nina?"
"Hab schon davon gehört. Skys einzige Reaktion darauf war: 'Tu einfach so, als wäre sie gar nicht da!' Mehr war nicht aus ihr herauszubekommen. Ich hab keine Ahnung, was das soll, aber wenn du sie alle beobachtest, tun sie genau das", sagte Ryan.
Er nahm sich vor, genauer auf das Verhalten der Setarips zu achten. Jetzt musste er sich aber erst mal auf seinen Auftritt konzentrieren. Er war körperlich sehr fit, trainierte jede freie Minute, die er neben seinem Job als Sicherheitschef noch hatte.
Er hatte schön ausgebildete Muskeln, wie es für einen Boxer üblich war. Dabei achtete er darauf, sein Trainingsprogramm so abzustimmen, dass es sowohl für seinen Job, als auch für die Auftritte mit Fire&Ice geeignet war. Daher machte er sich auch keine Sorgen, dass er irgendetwas nicht hinbekommen sollte, auch wenn er sehr selten mit den anderen zusammen trainierte.
Alles lief glatt, alle Einlagen gelangen und die Stimmung nach dem Auftritt war dementsprechend gut. Lachend stiegen seine Freunde und er von der Bühne.
Sie wurden sofort von weiblichen Fans umringt und die Männer genossen die Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wurde.
Sie gingen zu dem Tisch, der für ihre Gruppe reserviert war. Die Setarips warteten bereits auf ihre Ankunft und jubelten ihnen entgegen. Sie bekamen von allen Glückwünsche für die gelungene Show und stießen gemeinsam auf ihren Erfolg an. Einige ihrer Fans hatten sie zu ihrem Tisch begleitet. Wobei sie für Ty immer eher einem Schwarm Geier ähnelten, die sich um sie scharten.
Er mochte es nicht. Und er hatte überhaupt keinen Respekt vor den Flittchen, die sich jedem so schamlos an den Hals warfen. Natürlich hieß das nicht, dass er sich so eine leichte Beute entgehen ließ. Ja, er nahm sie mit in sein Zelt. Das war aber auch schon alles, was diese Frauen von ihm bekamen. Einen sehr guten Fick, einen oder mehrere Orgasmen. Und das war es.
Sobald sich ihr Atem beruhigt hatte, wollte er sie eigentlich schon wieder loswerden. Er hatte weder die Geduld für Drama-Queens noch für Heulsusen. Sie flogen allesamt auf direktem Weg aus dem Bett und vor die Tür.
Er schlief selten zwei Mal mit derselben Frau. Nicht, weil sie ihn nicht mehr anmachten, wenn er sie erst einmal gehabt hatte. Er wollte lediglich keine falschen Hoffnungen wecken. Er hatte nicht vor, eine von ihnen zu behalten, auch wenn einige von ihnen eine weitere Runde wert gewesen wären.
Er wollte keine Menschen, die ihm etwas bedeuteten in seinem Leben. Er mochte Ryan und Shane. Vielleicht sogar ein paar der anderen Jungs. Sky, Cat und das spärliche bisschen Familie, das er hatte. Aber schon diese wenigen Personen waren nicht gut für seine Gefühlslage.
Er brachte sich viel zu oft in Schwierigkeiten, wenn ihm jemand am Herzen lag. Und wenn er das Tier in seinem Inneren erst einmal raus gelassen hatte, war es nicht mehr zu bändigen.
Hätte Ryan ihn vor einigen Monaten nicht unterbrochen, hätte er Robert, Skys gewalttätigen Exfreund, umgebracht.
Er war so in Rage gewesen, dass er nicht mehr er selbst war. Einen nach dem andern Schlag hatte er dem brutalen Mann verpasst.
Grundsätzlich hätte Ty deswegen keine Gewissensbisse bekommen. Das Problem war nur, dass er in solchen Momenten die Kontrolle über sich selbst verlor.
Er wusste einfach nicht mehr, wann es reichte. Wann er besser aufhören sollte, bevor es schwerwiegende Folgen haben würde.
Robert lag an jenem Tag bereits halb bewusstlos am Boden und Tys Faust war wieder und wieder in sein Gesicht gekracht.
Hatte er es verdient? Definitiv. Das, was Ty ängstigte, war die Tatsachte, dass sich sein logisches Denken so vollständig verabschiedete. Der Gedanke, er könnte tatsächlich einmal einen Menschen mit seinen bloßen Fäusten töten, beunruhigte ihn. Er wollte so nicht sein. Aber die unterschwellige Aggression, die immer tief in ihm schlummerte, wurde wie mit einem Schalter freigesetzt, ließ er die Bestie in sich erst einmal los.
Er hatte sich kaum auf einen Stuhl gesetzt, da platzierte sich auch schon ein Geier auf seinem Schoß. Es gefiel ihm heute nicht. Er hatte immer noch schlechte Laune und absolut keine Lust darauf, freundlich zu sein.
Und das musste er nun mal. Charmant lächeln, hier und da ein Kompliment. Immerzu wollten die Frauen hören, wie toll sie seien.
KOTZ!
Er war von Haus aus nicht sehr gesprächig und wenn er, so wie jetzt, schlecht drauf war, wollte er erst recht keinen aufgesetzten Small-Talk.
Er redete nur dann, wenn er auch wirklich etwas zu sagen hatte. Leider verstanden das die meisten Leute nicht und versuchten, ihn permanent in ein Gespräch zu verwickeln.
Genau das tat auch das Flittchen auf seinem Schoß.
Er hörte sie brabbeln, versuchte aber, dieses nervtötende Geräusch auszublenden. Er versuchte, die Aggressionen in seinem Inneren in den Griff zu bekommen und schraubte mental die Geräuschkulisse herunter.
Ty schloss seine Augen, um sich besser auf sich selbst konzentrieren zu können, und hörte dabei in unregelmäßigen Abständen ein leises Klick. Er wollte zuordnen, woher das Geräusch kam und was es bedeutete, kam aber auf keine Lösung.
Langsam öffnete er die Augen und sah den Kopf des Flittchens nur noch wenige Zentimeter vor sich.
Er legte ihr die Handfläche auf die Stirn und schob sie von sich. Verwirrt sah sie ihn an, also blieb ihm nichts anderes übrig, als es deutlicher zu machen.
"Runter von mir", knurrte er sehr leise, wusste aber, dass sie ihn verstanden hatte, da sie erschrocken die Augen aufriss.
"Was ist denn los?", fragte sie mit ihrer piepsenden Stimme.
Nochmal KOTZ!
"Du quatschst mir seit 10 Minuten die Ohren voll und dir ist noch nicht einmal aufgefallen, dass ich keinen einzigen Ton gesagt habe. Also runter von mir! Wenn du so scharf auf meinen Schwanz bist, kannst du mir einen blasen, aber dann Abfahrt!"
Schockiert riss sie die Augen auf und machte sich schnellstmöglich davon. Während der ganzen Zeit hatte er weiter dieses Klick-Geräusch vernommen. Wenn ihn nicht alles täuschte, waren die Abstände, in denen das Geräusch erklang, seit seinem Ausbruch drastisch gestiegen.
Er sah sich um und versuchte wieder, das Klicken zu orten. Ihm schräg gegenüber machte er Nina aus, die ihr Objektiv genau auf ihn gerichtet hatte. Sie betätigte den Auslöser und Ty hörte es wieder. Klick.
Verwirrt zog er die Brauen zusammen. Klick.
Dann lächelte er. Klick.
Sie hat das ganze Drama mit dem Flittchen via Foto festgehalten! Diese Bilder möchte ich sehen!
Erst jetzt fiel ihm auf, dass Nina ihm gerade das erste echte Lächeln des Tages entlockt hatte, ohne auch nur ein Wort zu sagen.